Abschreckung und Piraten

Als Anfang April somalische Piraten die Maersk Sealand in ihre Gewalt brachten, hiess es, das sei der erste Angriff auf ein Schiff unter US-Flagge in vier Jahren gewesen.

Ebenfalls Anfang April misslang somalischen Piraten, ein israelisches Schiff unter maltesischer Flagge, die ZIM Africa Star, in ihre Gewalt zu bringen. Das sei der erste Angriff ueberhaupt auf ein israelisches Schiff gewesen, sagte der leitende ZIM Direktor.

Das macht mich neugierig und ich versuche, Daten und Statistiken zur Piraterei zu finden. Was ich auftreiben kann, ist zumeist alt. Die Statistik des US Department of Transportation deckt nur die Jahre 1994 bis zum ersten Halbjahr 2002 ab. Im Jahr 1994 gab es demnach insgesamt 6 Vorfaelle von Piraterie weltweit, von denen die US Behoerde Kenntnis hatte. 1995 wagen es schon 138 Faelle, 1996 dann 232. Der naechste Quantensprung erfolgte von 1999 auf 2000, von 310 Vorfallen auf 492. Das Jahr 2001 sah wiederum einen Rueckgang auf 355 Vorfaelle.

Wir erinnern uns: Von August 1992 bis Maerz 1996 befanden sich US Streitkraefte in Somalia. Die als humanitaere Intervention geplante Aktion scheiterte, als die US-Streitkraefte immer mehr in den Somalia tobenden Buergerkrieg verwickelt wurden. Magadishu im Oktober 1993 brachte den Entschluss, sich aus Somalia zurueckzuziehen. Das erklaert, warum die 1994 noch quasi nicht existente Seeraeuberei 1995 auf einmal explodierte.

Mit dem Abzug der US-Truppen setzten sich Al-Qaida-Leute in Somalia fest. Die Verantwortlichen fuer die Attentate auf die US Botschaften in Dar es Salaam, Tanzania und Nairobi, Kenya sollen Verbindungen nach Somalia gehabt haben, wenigstens post factum.

Die Anwesenheit von Al-Qaida in Verbindung mit fortgesetzt schlechten Ernten und sich ausweitendem Krieg in Somalia und moeglicherweise unter dem Eindruck von US-Schwaeche, nach dem wahrscheinlich schlecht beratenen Luftangriff auf eine Pharmafabrik im Sudan koennte den sprunghafen Anstieg von 1999 auf 2000 erklaeren.

Wenn ich jetzt noch die Daten fuer 2002 bis heute finden koennte! Ich spekuliere mal, dass in der Bush-Amtszeit die Akte von Piraterie nachliessen, vor allem der Einmarsch im Irak sollte sich mit entsprechener Verzoegerung in der Statistik bemerkbar machen. In der zweiten Amtszeit stiegen sie vermutlich wieder an und dass die Praesidentschaft Obamas auch von den Piraten als Einladung zur Aggression empfunden wird, scheint mir nicht von der Hand zu weisen.

Frank J. Fleming hat in Pajamas Media als Persiflage den verstaendnisvollen Ansatz gegenueber den Piraten formuliert. Ganz ernst gemeint ist dieser Ansatz im Artikel aus der ZEIT vom November 2008 zu lesen: Wer ist hier der Pirat?

Die Versicherungen fuer Seetransporte sind uebrigens schon teurer geworden. Das sind Kosten die auf den Endverbraucher umgelegt werden.

Kratzer im Hamasbild von Victor Kocher

Ich habe aber keinen Zweifel, dass Herr Kocher bald darueber hinwegkommen wird. Seine kognitive Dissonanz hat schon ganz andere Probleme gemeistert.

In seiner heutigen Berichterstattung zur Lage der Palaestinenser laesst sich Victor Kocher dazu hinreissen, dass  Hamasfunktionaere am Ende doch keine hehren Lichtgestalten seien, sondern moeglicherweise auch nicht besser als andere Politiker (z.B. Frau Calmy-Rey)?

Auch wenn man die palästinensischen Politiker als ebenso grosse Zyniker wie alle anderen ansieht

Dennoch ist er sich sicher, dass es der Hamas aus tiefstem Herzensgrund nur darum gehen kann, die Lage der Bevoelkerung im Gazastreifen zu verbessern. Das haben sie schliesslich selber gesagt!

Und so darf es der Hamas nicht egal sein, dass immer noch Tausende Palaestinenser obdachlos sind, weil ihre im Gazakrieg zerstoerten Haeuser noch nicht repariert wurden.

Eigenartigerweise war es der Hamas gar nicht egal, dass diese Haeuser ueberhaupt zerstoert wurden, das hatte die Terrororganisation sicher gestellt, indem sie Haeuser verminte, aus zivilen Wohngegenden heraus Raketen feuerte, Waffen- und Munitionslager unter zivilen Gebaeuden anlegte, Wohngebiete untertunnelte, usw.

Sollte es Herrn Kocher entgangen sein, dass Hamas international vom Leiden der Bevoelkerung im Gazastreifen profitiert? Und das, obwohl er selbst kraeftig an dieser Propagandafront mitkaempft! Ich bin mal gespannt, wie lange es dauert und wie die Ueberleitung genau aussieht, bis er Israel auch fuer die derzeitige Misere in vollem Umfang verantwortlich macht.

Kopfschuetteln ueber eine Professorin

Sibylle Tönnies, 1944 in Potsdam geboren, studierte Jura in Kiel und Freiburg sowie Soziologie an der London School of Economics. Von 1974 bis 1978 war sie als Rechtsanwältin tätig. Von 1973 bis 2000 lehrte sie am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bremen und ist jetzt Lehrbeauftragte an der Bucerius Law School.

erfahre ich bei Perlentaucher. Das aendert keinen Deut daran, dass die Professorin in der FAZ Bloedsinn von sich gibt: Sehnsucht nach der Weltregierung.

Ich sehe ihre Sehnsucht nach der Weltregierung als eine Steigerung der Sehnsucht nach dem starken Staat und damit als Angst vor der eigenen Verantwortung. In ihrem Wunschdenken laesst sie vollkommen aussen vor, dass ausser dem “failed state” auch der totalitaere Staat die Menschenrechte nicht garantiert. Der Leviathan entwickelt sich dann nicht zum Behemoth, wenn die groesstmoegliche Anzahl der Staatsbuerger aktiv am Staat beteiligt sind und Verantwortung uebernehmen.

In ihren Ausfuehrungen zum Staat betont Toennies das Gewaltmonopol, zu Recht. In ihren Phantasien zum Weltstaat kommt das nur noch als Slogan vor “einiziger Supermacht”. Der Internationale Strafgerichtshof aber verfuegt ueber keine Bataillone. Dass dessen Sprueche nicht weniger hohl sind als die Geltung der Menschenrechte fuer Juden in der Nazizeit, laesst sich leicht auf diesem Bild erkennen.

President Omar Hassan al-Bashir of Sudan at the Arab League summit in Doha, Qatar, on Monday

President Omar Hassan al-Bashir of Sudan at the Arab League summit in Doha, Qatar, on Monday

Der Artikel in der New York Times, dem ich das Bild entlehne, stammt vom 30. Maerz 2009. Am 4. Maerz 2009 erliess der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen al-Bashir.

Witzigerweise haben die USA bisher eine Ratifikation des Status des Internationalen Strafgerichtshof abgelehnt. Was Frau Toennies vorschwebt, ist eine Weltregierung nach europaeischen Vorstellungen mit den USA als ausfuehrendem Organ “Weltpolizei”.

Vermischtes - von und um Pessach

Am letzen Mittwochmorgen bin ich ganz frueh aufgestanden, um an der Birkat HaChama teilzunehmen. Schon kurz vor 5 war ich auf dem Rathausplatz, wo jede Menge Plastikstuehle in oestlicher Ausrichtung bereitstanden. Eine andere Frau war auch so uebereifrig und gemeinsam setzten wir uns in die Frauenabteilung, die wie immer bei solchen Veranstaltungen zu klein angelegt war. Tatsaechlich begannen die Gebete erst etwas nach halb sechs und den spezielle Segen sagten wir erst gegen 7 Uhr, als die Sonne schon deutlich sichtbar am Himmel stand. Es war ein besonderes Erlebnis.

Danach fuhr ich schnell nach Hause, die letzten Taschen mussten gepackt, das letzte Fruehstueck mit Chametz gegessen und danach die Kueche noch einmal aufgewischt werden. Dann waren wir unterwegs nach Norden zu der Schwiegerfamilie. Einerseits wollten wir frueh genug fahren, um den ueblichen Stau zu vermeiden, andererseits war uns auch klar, dass die Schwiegermutter uns nicht zwischen den Beinen haben will, waehrend sie die letzten Vorbereitungen zum Sederabend trifft. Wir machten Halt beim Nachal Alexander und wanderten ein wenig am Strand entlang. Dann kehrten wir noch beim Maxim ein, um eine Kleinigkeit zu essen. Den Kindern sagte der Name des Restaurants nichts. Uns schon. Sieben Jahre nach dem Anschlag ist ein weiteres Opfer seinen schweren Verletzungen erlegen. (Irrtum meinerseits, Shimon Shiran war ein Opfer des Anschlags auf das Restaurant Matza, nicht Maxim in Haifa. Seine Tochter wurde bei demselben Anschlag ermordet.)

Ich konnte mich noch ein wenig hinlegen, bevor es Zeit fuer das Beit Knesseth wurde. Eine nette Frau half mir, im Machsor die richtige Stelle zu finden. Mein Schwiegervater betet in der Synagoge einer indischen Gemeinde und die Melodien sind so anders als die in unserer (ashkenasischen) Gemeinde, dass ich damit Schwierigkeiten habe.

Der Sederabend war sehr harmonisch und schoen. Weil bei meinen Schwiegerelten der Afikoman weder versteckt noch gefunden wird, bereite die Kleine aus eigener Initiative ein Spiel vor, das sie mit ihren Cousins veranstalten wollte. Sie packte aber nur das Hauptgeschenk ein, die anderen Mitspieler bekamen eine eigens fuer sie ausgesuchte Kleinigkeit als Trostpreis. Alle waren sehr vergnuegter Dinge.

Fruehling im noerdlichen Israel ist unbeschreiblich schoen, wir wanderten im Carmelwald. Das erste Mal gelang es mir, die Familie auf wunderschoenen, aber nicht markierten Pfaden wieder zum Auto zurueckzubringen. Das zweite Mal gelang mir das zwar auch, aber dazu mussten wir ein Stueck durch dorniges Unterholz kriechen. Vor allem mein rechter Arm zeigt die Kratzspuren, so dass ich bis auf weiteres besser langaermlig herumlaufe. In Ein Hod waren wir auch und die Maedchen und ich genossen die Atmosphaere und die Anregungen im Maabada (Labor) Dada.

Am Shabbatausgang musste ich dann auf den Zug, die Maedchen und mein Mann koennen noch im Norden bleiben. Natuerlich war er ueberfuellt mit all den Soldaten, die zu ihren Basen zurueckmussten. Ich sass eingeklemmt in einer Gruppe von Offiziersanwaertern der Luftwaffe, drei hellhaeutigen und zwei aethiopischen jungen Maennern. Ab Kiriat Gat hoerte ich immer lauter deutsche Gespraechsfetzen. Ich kaempfte mich zum Ausgang durch, um den Bahnhof Beer Sheva Nord nicht zu verpassen und da waren sie; zwei deutsche Jungs ein Maedchen und ein orientalisch wirkender Junge mit einer grossen weissen Kippa. Sie redeten sehr laut und schubsten sich hin und her. Das war fuer die Umstehenden nicht lustig. Der Zug war so gedraengt voll, dass jeder Schubser wie bei fallenden Dominos zu einem sich fortpflanzenden Rempeln fuehrte. Ich rief schliesslich aus voller Brust auf Deutsch: “Leute, es reicht!” fuhr aber auf Hebraeisch fort, dass der Ort nicht fuer solche Spielchen passe. Mein kurzer Satz reichte offensichtlich nicht aus, dass mich die Betreffenden im Gedraenge identifizieren konnten. Sie waren verbluefft, aber alles andere als einsichtig und machten ueble Bemerkungen mit Stichwoerten wie “Auschwitz” und “Saeuberung”, die auch andere Mitreisende verstehen und einordnen konnten. Die schweigende Missbilligung, die ihnen entgegenschlug, schien den jungen Leuten aber Spass zu machen.

Zuhause erwartete mich das Katerchen und wollte gleich sein besseres Futter bekommen (Trockenfutter hatte er noch reichlich), aber ich musste heute morgen erst eine Dose (kosher fuer Pessach) besorgen. Heute bin ich dann mit dem Fahrrad ins Buero gefahren, was mir viel Spass machte. Mal schauen, ob es auf dem Rueckweg auch so ist, wenn ich den Berg hinauf muss…

Chag Pessach samech ukascher und Frohe Ostern!

Nachdem sie  39 und ein halbes Jahr durch die Wueste gewandert waren,  fragte Frau Moses diskret nach dem Weg.

Ach, Herr Roessler!

Da habe ich meine voreilige Meinung revidiert, werde positiv zitiert, als jemand der Roessler schon frueher richtig einschaetzt habe und dann das.

Der Titel scheint das Motto all derjenigen zu sein, die es einfach *wissen*, dass Israel Kriegsverbrechen begangen hat. Nur nicht zweifeln oder gar ueberpruefen.

Die letzten, gross an die Glocke gehaengten Vorwuerfe erwiesen sich als boesartiges Geruecht. Aber auch das wird nicht zugegeben. Eine Ermittlung, die von der IDF selber durchgefuehrt wird, kann ja nur gelogen sein, nicht wahr? Und dass die israelischen Medien der IDF auf die Finger sehen und selber auch recherchiert haben, braucht nicht beruecksichtigt zu werden. Weil die Anschuldigungen einfach falsch waren, ging die Untersuchung schnell. Und auch das wird nun als Verdachtsmoment gegen Israel gebraucht.

Auf der anderen Seite die Palaestinenser! Wir wissen doch alle, dass kein Palaestinenser je etwas anderes als die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit von sich gegeben hat, wie sich leicht am “Massaker von Jenin” ueberpruefen laesst. Wenn nun also pal. Zeugen Israel beschuldigen, dann ist jedes Wort unweigerlich wahr und wenn die Aussagen dann noch von Menschenrechtsorganisationen aufgeschrieben und verbreitet werden, dann sind Zweifel daran blasphemisch.

Israel muss Kriegsverbrechen begannen haben, weil es einfach zu viele Menschen gibt, die das aus unterschiedlichen Gruenden glauben. Und weil es Journalisten gibt, die sich - notfalls auch gegen die journalistische Sorgfalt - dafuer hergeben, pal. Behauptungen als Fakt zu praesentieren, aber offiziellen, israelische Untersuchungen jede Glaubwuerdigkeit abzusprechen.

Traurig.

Die NZZ - diesmal positiv erwaehnt

Silke Mertins Texte sind wie eine frische Brise im abgestandenen, alt-68er Mief: Sympathie mit dem Freiheitskampf der 3. Welt, wie ihn Victor Kocher, der Hamasapologet, regelmaessig verbreitet.

Die Violinen von Jenin zeichnen das Bild einer optimistischen, tatkraeftigen und warmherzigen Frau, der es wirklich um die Zukunft der palaestinensischen Kinder und um ein friedliches Zusammenleben geht. Dem gegenueber stehen pal. Politiker (wohlgemerkt der Fatah, nicht einmal der Hamas angehoerend), denen es nur darum geht, ihren Status zu sichern, indem sie den Status Quo festschreiben.

Und dann gibt es noch Menschen, die nur von Hass zerfressen sind. Die schreiben dann so:

It is really hard to write on this subject without getting angry. We all know the extent to which Israel can be evil and satanic. After all, we Palestinians have been on the receiving end of Israeli savagery for decades.

In fact, being thoroughly tormented and killed by the children, grandchildren and great grandchildren of the holocaust has always been and continues to be “the” Palestinians’ way of life.

However, for some Palestinians to allow themselves to be duped to sing and play music to their oppressors and child-killers is simply beyond the pale of human dignity.

It is at least as insulting and humiliating as some Jews were forced or duped to play music to SS, Gestapo and Wehrmacht soldiers during the Second World War. In both cases, the act was meant to humiliate the victims and rob them of the last visages of human dignity.

Bei Silke Mertins koennen wir nachlesen, wie sehr die Lage der arabischen Israelis derjenigen der Juden unter den Nazis gleicht:

Wafa Younis zieht sofort das Kopftuch runter, als sie nach Hause kommt. Dann kocht die arabische Israeli einen starken Kaffee und zündet sich auf dem Sofa eine Menthol-Zigarette an. In ihrem Wohnzimmer lehnt ihre Geige an einem schönen alten Klavier mit vergilbten Tasten. Wafa Younis reisst die Terrassentür auf. Draussen leuchten gelbe Butterblumen auf einer saftig grünen Wiese.

(…)

Wafa Younis ist jedoch keine Frau, die sich leicht einschüchtern lässt. Sie will abwarten, bis die Lage sich etwas beruhigt hat, und dann wie gewohnt unterrichten. «Ich habe doch keine Angst vor denen!», lacht sie. Und als sei nichts geschehen, ruft sie dazu auf, Instrumente für die Kinder zu spenden. Sie plant schon das nächste Projekt: ein Konzert für Kinder aus Gaza, die im Spital Tel Haschomer bei Tel Aviv behandelt werden.

Hervorhebung von mir. Ob die Hasser sich einrede, dass die Behandlung a la Dr. Mengele erfolgt?

Verwandtschaft

Im Versuch, das Attentat des 16-jaehrigen Maedchens zu erklaeren, schreibt die Jerusalem Post:

Beduin in the South were being incited to jihad and racist violence, the source said. “Most Beduin have relatives in Gaza, the family connections are well known. But we don’t expect an Israeli citizen to carry out such an attack. We don’t seek to blame an entire community, but this population is being exposed to incitement.”

In meinen Ausfuehrungen zu den Beduinen in Israel habe ich betont, dass die Palaestinenser und die Beduinen zwei getrennte Bevoelkerungen sind, deren Interessen nicht uebereinstimmen. Wie kommt es dann, dass die meisten Beduinen Verwandte im Gazastreifen haben? Die Antwort lautet Polygamie. Die erste Frau eines Beduinen ist in der Regel selber Beduinin und wird nach dynastischen Kriterien von den Familienoberhaeuptern ausgesucht. Fuer diese Braut wird ein Brautpreis verlangt, je nach Status der Familie, Eigenschaften des Maedchens und natuerlich Verhandlungsgeschick des Vaters kann dieser Brautpreis sehr hoch liegen. Darueber wird in Israel kaum gesprochen, Hinweise finden sich folkloristisch getarnt oder in wissenschaftlichen Publikationen.

Bei weiteren Frauen geht es dann weniger darum, eine dynastische Beziehung zu verstaerken, sondern mehr um zusaetzliche Statussymbole, Arbeitskraefte und Muetter fuer mehr Kinder. Die Maedchen aus dem Gazastreifen sind sehr viel billiger zu haben als Beduinnen. Anscheinend war die israelische Staatsbuergerschaft, die bis vor kurzem automatisch durch die Ehe erlangt wurde, ein ausreichender Anreiz. Selbst die Sippe von Hamasfuehrer Ismail Haniyeh, dem gegenwaertigen de facto Regierungschef im Gazastreifen, hat drei Toechter an israelische Beduinen verheiratet.

Woher ich meine Weisheit habe? Von meiner Freundin, die als Kinderaerztin in Tel Sheva arbeitet und so die Familienverhaeltnisse kennenlernt.

Das Maedchen und der Tod

Als wir gestern von unserem Picknick nach Hause fuhren, hoerten wir in den Verkehrsnachrichten, dass die Kreuzung Shoket (ca. 10 km noerdlich von unserem Haus) in alle Richtungen gesperrt sei. Von einem Autounfall war nicht die Rede. Ich murmelte halblaut zu meinem Mann, was da wohl los sei. Die Beobachtung, dass auffallend viele Streifenwagen unterwegs waren, machte ich ueberhaupt nicht laut. Schliesslich sassen die Maedchen hinten im Auto und ich wollte nicht, dass sie erschrecken.

Vorher am Picknicktisch waren wir Nachbarn einer zahlreichen Sippe, wahrscheinlich Beduinen aus Rahat. Die Grosse hatte ihr Buch vor der Nase und interessierte sich fuer nichts. Die Kleine dagegen stand halb hinter einem Baum und beobachtete die Kinder fasziniert. Ein kleines Maedchen erwiderte ihr Interesse und schaute auch die ganze Zeit zu ihr. Aber sie trauten sich nicht, miteinander zu sprechen, obwohl ich dazu animierte, z.B. hoerbar der Kleinen sagte, Shalom hiesse auf Arabisch Salam. Beim Wasserhahn hatte ich versucht, Kontakt herzustellen, indem ich gruesste. Aber das wurde nicht erwidert. Mein Mann blickte mit zusammengebissenen Zaehnen auf den Nachbartisch und bestand darauf, dass wir bald nach Hause fuhren. Zum Abschied winkte ich noch dem kleinen Maedchen, aber auch das blieb unerwidert.

Houra ist eine von sieben anerkannten Beduinenstaedte im Negev und liegt auf der Strecke Beer Sheva Arad, in der Naehe von Shoket. Ich bin einmal durchgefahren und fand sie ganz passabel. Zwar wird der oeffentliche Raum nicht gepflegt (keine Parks, kaum Buergersteige, Abfall auf den Strassen), wie es anscheinend fuer arabische Siedlungen typisch ist, aber die Haeuser selber machen einen guten Eindruck, anderswo wuerde man sie geraeumige Villen nennen. Da hier aber die Grossfamilien zusammenleben, wird es so geraeumig nicht sein. Aber Wellblechhuetten oder aehnliches, was an Slums erinnern wuerde, habe ich nicht gesehen. Dazu passt, dass das Maedchen aus einer stabilen Familie kam und in der Schule gut war. Houra lag gerade ausserhalb der Raketenreichweite waehrend der Militaeraktion “Gegossenes Blei”:

“It’s raining enemy missiles,” she wrote, “And I can hear the screams of Gaza echo in my ears. I have a profound wish to die for Palestine; I have a profound wish to die for Gaza.” Other entries include her expressing her wish to “hurt police officers and the enemy,” and according the officer Didi’s testimony, documents indicating the family’s affiliation with Hamas were also found in the house.

(Hervorhebung von mir)

16 ist ein schwieriges Alter. Warum wollte dieses Maedchen kein Popstar werden oder den Schoenheitswettbewerb gewinnen, sondern Maertyrerin werden, indem sie israelische Polizisten toetete? Ich glaube nicht, dass sie ganz allein handelte. Konnte sie einfach so an eine Waffe und Munition kommen? Wer hat mit ihr Schiessen geuebt?

Ein weiteres Kindesopfer und nein, nicht Israel ist fuer ihren Tod veranwortlich.

Armut in Israel IV

Auf Bitte der gemeinnuetzigen Organisation, fuer die wir am Donnerstag Lebensmittelpakete ausgeliefert haben, haben mein Kollege und ich auch heute Lebensmittel verteilt, insgesamt an sechs Familien. Zwei davon haben wir nicht zuhause angetroffen. Zwei Wohnungen machten soweit einen passablen Eindruck und die Menschen auch, die das Paket entgegen nahmen.

Eine alte Frau begann zu weinen. Ihr Mann war vor drei Wochen gestorben und jetzt muss sie Pessach ohne ihn feiern. Ich konnte mich nur muehsam mit ihr unterhalten. Sie spricht Rumaenisch, Russisch und Jiddish. Ich habe versucht, meinem Schweizerdeutsch einen jiddischen Klang zu verleihen. Es muss jemanden geben, der ihr hilft. Die Wohnung war zwar schaebig, aber in einem bewohnbaren Zustand und mit ihrer Gehbehinderung kann sie das kaum selber machen.

Am schlimmsten hat es ein alter Mann. Seine Wohnung ist leer. Der Herd in der Kueche ist wohl schon lange nicht mehr ans Gas angeschlossen und vollkommen verrostet. Ein altes Bettgestell mit Polstern, die wohl von einem ausrangierten Sofa stammen, ein paar Decken und ein kleiner Plastiktisch waren alle Moebel, die ich sehen konnte. Mich schaudert bei dem Gedanken, wie der Mann die kalten Naechte im Winter uebersteht. Lauter leere Plastiktueten liegen auf dem Boden der Kueche. Ich stelle mir vor, dass er mit ihnen neben Muelleimern nach Essbaren sucht oder auch die weggeworfenen, halbfaulen Fruechte beim Gemuesehaendler.

Vielleicht habe ich waehrend der Halbfeiertage an Pessach etwas Zeit. Ich muss arbeiten (zuviele Urlaubstage gingen im Krieg drauf) und mein Mann und die Maedchen bleiben im Norden, wenn es meiner Schwiegermutter nicht zuviel wird. Dann kann ich den Mann besuchen kommen, bei ihm sauber machen und vielleicht ein paar Sachen bringen. Einen alten Teppich und zwei ausrangierte, aber solide Stuehle habe ich im Keller. Ich kann auch mal bei den Nachbarn und Bekannten herumfragen, ob jemand eine Matraze und/oder einen Tisch uebrig hat.

Ich